Andi in China
Sonntag, 29. Januar 2012
Auf in die Heimatstadt
Heute ist der vierte Tag des chinesischen Frühlingsfestes und ich bin meiner Lieben Frau in die Provinz gefolgt. Genauer gesagt in die Provinz Hunan in der Nähe der Stadt Changning. Schon die Reise hierher war für einen vorausplanenden Europäer ein kleines Abendteuer. Erst mal war die Sache mit dem Flugticket noch bis eine Woche vor Abflug noch nicht sicher. Kam dieses Jahr auch wieder völlig überraschend, das mit dem Neujahr. Hatte mir im Vorfeld die eine oder andere Bemerkung erlaubt, aber im Eigentlichen vertraute ich doch auf meine Frau. Dieses Jahr hatte sich die chinesische Regierung einfallen lassen, dass die Tickets für Zugreisen erst 10 Tage vor der Reise gekauft werden können. Hört sich komisch an, macht aber Sinn um den Schwarzhandel einzudämmen. Nun wollen aber zum Frühlingsfest nicht nur ne Handvoll Chinesen grad mal von hier nach gleich um die Ecke. Nein, über 300 Millionen wollen in die Heimatstadt und im ungünstigsten Falle kann das über 4000km weit weg sein. Das muss man sich mal vorstellen. Ganz Europa auf der Reise. Da würde bei uns auch alles kollabieren. CCTV berichtete von 3,2 Milliarden (!!!) Tickets die in den 40 Tagen um Chinese New Year gelöst werden, sei es Flug-, Zug,- Bus,- oder Taxitickets.
Wie dem auch sei, meine Frau wollte sparen und mit dem Zug reisen. Vorbildlich. Zuversichtlich begab sie sich zwei Stunden vor Verkaufsstart zum Ticketoffice und... Ein anderer, der schon seit 13 Stunden dort ausharrte, bekam auch keins. Die Tickets konnten auch im Internet erworben werden. Internet! -Das neue Ding! Sonst kauft meine Frau auch alles im Internet. Aber Ihr kennt mich, ich reg mich nicht auf. Komisch das dann auf einen Schlag die Flugtickets auch ausverkauft waren. Nur noch erste Klasse war zu haben. 2180 Yuan, einfach, pro Nase. Nee, viel zu teuer für so einen kurzen Flug. Doch meine bessere Hälfte schaffte es dann doch noch zwei Tickets für einen Tag später aufzutreiben zu einem, ich sach mal, noch annehmbaren Preis.
Dann hatten wir ja letzte Woche noch die Wohnung aufgelöst. Stress, was habe ich dir nur getan. Ich nehme mir jetzt fest vor nach Dalian nur noch einmal umzuziehen! Das geht echt an die Substanz. In die Heimatstadt mussten ja auch noch Güter mitgenommen werden. Wir hatten stolze 13kg Übergepäck. Was aber zu meiner Überraschung nur läppische 160 Yuan gekostet hat. Nerviger war dann schon das Zeug zu schleppen. Am Flughafen ist das ja noch kein Thema, aber in Changsha angekommen ging mein Stresstest schon in die nächste Runde. Gepäckband. Ich freue mich ja jedes Mal wieder, mir mein Gepäck zu erkämpfen, aber dieses Mal war es schon eine besondere Herausforderung. Haben die doch das Gepäck von vier Flugzeugen auf ein Band geleitet. Nicht, das keine anderen mehr frei wären. Denke mal aus Spaß. Da war bestimmt einer mit ner Videocam und lacht sich jetzt an CNY mit seinen Verwandten schlapp über das Gepäckchaos.
Das Band war voll. Richtig voll. Und nicht nur auf dem Band, sondern auch vor dem Band stand ein 2-3m dicker Kranz aus Menschen am Band um ihre Gepäckstücke in Empfang zu nehmen. Und wenn ich hier schreibe vor dem Band meine ich eigentlich direkt am Band. Also das Bein berührt das Band und der Oberkörper lehnt gut einen halben Meter drüber. So erhofft man seinen Koffer rechtzeitig zu erblicken. Würde aber nur funktionieren wenn es halt nicht jeder macht. Man sieht also nur die 40cm unter einem. In Deutschland habe ich mal gesehen, dass alle Passagiere so 2-3m vom Gepäckband weg bleiben, somit die Gepäckstücke auf die Weite schon sehen können und erst bei Bedarf ans Band treten. -Oder habe ich das nur geträumt?
Ahhh, endlich mein Koffer. Und der meiner Frau folgt auf dem Fuße. Verdammt auch noch beide Kartons. Jetzt bräuchte ich vier Arme. Koffer eins und zwei gesichert. Karton eins in der Rechten und ... wo ist jetzt der zweite abgeblieben? Den hat sich doch glatt eine fremde Chinesin unter den Nagel gerissen. Über ein halbes Duzend anderer hinweg spreche ich sie mit erhobener Stimme an und deute mit meiner Linken auf den Karton. Sie schaut mich verdutzten Gesicht für eine Sekunde an, dann auf den Karton und reicht diesen unbeeindruckt zu einer mir ebenfalls unbekannten Person weiter. In der Menschenmenge mit zwei ausgewachsen Koffern und einem Heizstrahler im Karton bin ich praktisch bewegungsunfähig. Somit kann ich nur zum äußersten Mittel greifen und meiner Frau, die hinter der Menschenmenge mit einem Gepäckwagen auf mich wartet, zuzurufen dass jemand unser Gepäck stiehlt.
Meine (fast immer) liebe Frau ist vom chinesischem Sternkreiszeichen Hund und wie ein abgerichteter Pitbull-Terrier schießt sie auf mein Kommando los. War dann eine Sache von Sekunden und meine Frau schritt mit stolz geschwellter Brust und dem Karton in der Hand zurück zu unserem Wagen.
Mittlerweile zeigte mein Messeisen am Armgelenk schon 21:10 Uhr und wir hatten keine Ahnung wie es weiter geht. Nachdem wir uns durch den Ankunftsbereich gekämpft hatten machte sich Joanna auf den Weg schnell noch am Ticketoffice die vorbestellten Rückflugtickets abzuholen. Ich durfte in der Zwischenzeit auf unser Gepäck aufpassen. 10 Minuten später war meine Liebe wieder zurück mit den Tickets. Wow, das ging doch schnell. Jetzt brauchten wir aber noch ein Fortbewegungsmittel vom Flughafen in die Stadt. Ursprünglich wollten wir in der Nähe des Busbahnhofes übernachten und am nächsten morgen weiter mit dem Bus nach Changning. Am Busticketschalter heiß es aber da wäre jetzt nichts mehr frei. Ok, dann machen wir uns auf den Weg zum Bahnhof. Vielleicht gibt's noch zwei Zugticket für uns. Also erst mal ein Busticket zum Bahnhof holen. Ich passe wieder auf unser Gepäck auf. Ratzfatz sind wir im Besitz der Fahrscheine und sie deutet auf den Fahrstuhl. Da auch hier das totale Chaos herrscht drängen wir uns dann einfach mit unserem Wagen in einen Fahrstuhl den wir ergattern können. Wir fahren von Stock 1 zum (höchsten) Stock 2, weil das schon jemand gedrückt hat. Ich frage Joanna wohin wir müssen uns sie sagt Stock 1. Was? Da kommen wir doch gerade her. Meinst du vielleicht Stock -1? Ja, Stock -1. Gedrückt, angekommen, ausgestiegen und sehr bald festgestellt, dass wir doch in Stock 1 müssen. Hat meine Liebe Frau mir auch gesagt. Warum bin ich auch so blöd und laber da was von Stock -1? Ganz klar mein Fehler. Naja, wieder anstellen, drängeln, schubsen, schieben, einsteigen und schließlich kommen wir im Stock 1 an, wo wir schon vor 10 Minuten waren. Ok, jetzt aber hurtig zum Bus. Schnell sind unsere Koffer im Gepäckfach des Busses verstaut und wir nehmen Platz.
Als wir aus dem Bus in der Nähe des Bahnhofes aussteigen ist es bereits 22:30 Uhr und es regnet bei 2 Grad. Heute bekommen wir wohl keinen Zug mehr. Aber direkt an der Haltestelle tummeln sich zahlreiche Schwarztaxis, die auf das Geschäft des Jahres warten und da kommen jetzt wir. In die Heimatstadt sind es Luftlinie knapp 200km. Das beste Angebot das wir bekommen ist 1000Yuan. Ein Busticket kostet 68. Außerdem will er uns nur nach Changning selber fahren und nicht direkt zu den Schwiegerleut, die 20 km außerhalb wohnen. Nach einigen hin und her entscheide ICH das wir jetzt ein Hotel nehmen und morgen weiter schauen. Im Hotel direkt an der Haltestelle bekommen wir ein Zimmer für 268Yuan und ich bin froh endlich aus dem Regen zu sein und mal nicht bei jedem Schritt das Gepäck mitzuschleppen müssen. Nun fällt Joanna ein, dass sie ja noch eine Telefonnummer von so ein Typen hat, der mit dem Busfahrer, der könnte... Am Telefon erzählt er großspurig, dass da auf jeden Fall noch ein Platz frei ist und wenn nicht, dann fährt er uns persönlich nach Hause. Das hört sich ja gut an.
Da mein Magen noch ein bisschen gefüllt werden möchte, gehen wir nochmal vor die Tür schauen noch beim McD vorbei und kaufen noch ein paar Pistazien und ein Gute-Nacht-Bier. Es ist schon fast ein Uhr als ich das Licht ausmache.
Den Wecker haben wir auf halb Sieben gestellt und 25 Minuten später sind wir schon mit frisch geputztem lächeln ausgecheckt. Dann mit dem Taxi zum Busbahnhof. Dort angekommen, scheinbar mit einer Horde anderer, beginnt der Run auf die Ticketschalter. Ich beziehe wieder meinen Posten hinter unserem Gepäck, jeder Zeit bereit mein Leben zu geben für die High-Heels meiner Frau, die gerade ihr Glück versucht für einen ausverkauften Bus noch ein Ticket zu bekommen. Komisch, gab dann doch keins mehr. Der Typ am Telefon konnte uns dann doch nicht mehr helfen. Scheiße was jetzt? Wir könnten einen Bus nach Hengyang nehmen... höre ich Joanna sagen und im selben Moment ist sie auch schon wieder im Entensprint zum Ticketschalter unterwegs. Mit breitem Grinsen und zwei Tickets kommt sie wieder zurück. Jetzt aber zügig, der Bus geht in 10 Minuten. Hengyang ist nur noch 60km von der Heimatstadt entfernt. Die zweistündige Fahrt verschlafe ich fast komplett. Wir kommen im strömenden Regen in Hengyang Busbahnhof an. Wieder unser Gepäck hinterher zerrend werden wir erneut von einer Meute Schwarztaxifahrern belagert. 500Yuan wäre der Kurs nach Hause und der Bus ging erst am späten Nachmittag. Eine Falschaussage, wie sich zeigte als wir am Ticketschalter die letzten beiden Tickets nach Changning für je 28 Yuan erstanden. Schon wieder mussten wir rennen. Hatte gerade noch die Zeit einmal den Jürgen zu würgen und schon ging es weiter. Kurz vor Mittag erreichten wir dann das Elternhaus meiner Frau bei leichtem Schneefall.

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Letzte Aktualisierung: 2014.01.01, 11:46
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